Billigfleisch

Ich hab mir gerade einen interessanten Podcast vom SPIEGEL angehört in dem es um faire Preise in der Landwirtschaft geht und vor allem auch um das so oft gescholtene “Billigfleisch”. 

Dort wurde ein Vertreter von ALDI interviewt der die günstigen Preise mit den sehr schlanken Strukturen der Discounter erklärt und ein Landwirt der gerade so über die Runden kommt mit den Preisen die er beim Verkauf an den Verarbeiter verdient. Am Ende schoben sich alle gegenseitig den schwarzen Peter zu: Die Discounter sagen die Leute wollen Billigfleisch kaufen, der Landwirt sagt er braucht höhere Preise und die Industrie sagt warum sollen wir teures Fleisch kaufen wenn es auch billiges gibt, denn der Handel will ja nur billiges Fleisch. 

Man hört ja immer wieder dass die Deutschen im europäischen Schnitt prozentual am wenigsten von Ihrem Einkommen für Lebensmittel ausgeben. Stutzig machte mich eine Aussage dass der aktuelle Milchpreis den der Kunde mit ca. 69 Cent pro Liter im Supermarkt bezahlt mehr als günstig sei. Im Ernst: Ich hielt einen Moment inne und dachte mir so: Hä? Günstig? Das ist weiss gefärbtes Wasser mit Geschmack, wie teuer soll das denn noch sein? Irgendwo im Netz findet man eine Angabe dass der Milchpreis um 120 % steigen müsste um fair zu sein. Das wäre dann bei ca. 70 Cent jetzt ca. 1,50 € / l. Wahnsinn! Also Wahnsinn, im Sinne von: Wie kann es eine so grosse Diskrepanz zwischen das müsste es eigentlich kosten und das kostet es geben und nicht Wahnsinn, das ist ja viel zu teuer. 

Gehen wir mal von mir und meinen im Moment 1600 € Nettolohn aus. Ich kann nicht genau sagen wie viel Geld Ich im letzten Jahr für Lebensmittel ausgegeben habe, sondern nur für “Einkäufe” ausgegeben habe (Lebensmittel, Drogerieartikel, Getränke, Süssigkeiten und Knabberkram, Alkoholika, usw. eben alles was man so klassisch “einkauft” und was es so alles in einem durchschnittlichen deutschen Supermarkt oder Drogeriemarkt gibt). Das waren bei mir nicht ganz 2.800 € im Jahr oder im Schnitt 230 € im Monat. Das ist nach der Miete der zweitgrösste Posten in meinem Haushaltsbuch. Wenn da die Milch teurer werden würde, auch um 120 % wäre das für mich jetzt nicht unbedingt so ein grosser Schlag ins Kontor. 

Wenn man sich die Diskussion oben ansieht bei der sich Produzenten, Industrie und Handel streiten wer nun eigentlich Schuld hat an all dem komme Ich nicht umhin mich zu fragen: Hat von den drei Parteien denn überhaupt jemand Schuld? 

Dann könnte man eine Stufe weiter gehen und sich fragen: Hat vielleicht der Konsument schuld? Zu der von mir so gerne genannten “Konsumentenverantwortung” hab Ich hier auch noch einen Artikelentwurf herumliegen, da kommt noch mal was. Soviel vorab: Ich bin ein entschiedener Gegner der Konsumentenverantwortung! Solange es mir nicht vom Gesetz verboten ist mir jeden Abend für 2,99 € vier Billig-Schwenksteaks reinzupfeifen, tu Ich auch nichts unrechtes! Und so lange es mir nicht verboten ist bei einer Firma zu tanken die eine Bohrinsel in der Nordsee versenken und damit einen riesen Umweltschaden anrichtet werde Ich da auch weiterhin tanken, wenn denn der Preis stimmt. Wenn die Politik der Meinung ist dass es der Gesellschaft, der Umwelt, dem Klima oder wem auch immer nicht gut tut dass vier Schwenker 2,99 € kosten (oder Bohrinseln im Ozean zu versenken), dann soll Sie es eben verbieten! Genau deswegen habe Ich ja auch die Grünen gewählt. Ich will dass die Politik mir die Spielregeln vorgibt in denen man sich bewegen darf. Im Zweifel müssen eben bestimmte Haltungsformen verboten werden, so dass Fleisch nur zu einem Preis produziert werden kann der dem Produzenten und dem Verarbeiter, sowie den dabei angerichteten Umwelt- und Klimaschäden gerecht wird. Das könnte man auf europäischer Ebene regeln und auch beim Import von Fleisch könnte man bestimmte Produktionsverfahren einschränken. Und da Ich auf lange Frist sehe, dass das auch so kommen wird, nutzte Ich das jetzt noch so gut es geht aus und esse Billigfleisch bis die Funken fliegen, denn Ich weiss dass wir das so nicht weiter betreiben können bis Ich mal in die Kiste springe. 

Was Ich auch nie verstanden habe ist warum es in Deutschland anscheinend gerade in der Landwirtschaft so lasche Verbandsstrukturen angeht zumindest was den Verkaufspreis angeht, nicht die Kontakte in Richtung Politik. Warum schliessen sich die Landwirte nicht zusammen und sagen unter diesem bestimmten Preis wird nicht verkauft. Entweder die Molkerei oder der Handel zahlen diesen Preis oder es gibt keine Milch oder kein Fleisch mehr. Wenn alle 55.000 Milchbauern in Deutschland sich einig wären dass man einen Verband zu Verhandlungen mit der Industrie über einen sagen wir jährlich neu ausgehandelten “Tarifvertrag” ermächtigt könnte Ich mir vorstellen dass das klappen könnte. Nach Vorbild einer Gewerkschaft mit einer Art “Lohnfortzahlung im Streikfall”. 

Wenn man dann aber über gerechtere Preise für Fleisch diskutiert kommt immer wieder das Argument: Ja aber wenn das Fleisch so teuer wird, dann kann sich nur noch der Reiche (jeden Tag) Fleisch leisten und der einfache Arbeiter und der Geringverdiener ist der Gelackmeierte. Das gleiche Argument hatten wir ja auch schon bei den steigenden Benzinpreisen. 

Da muss Ich dann immer an meine Grosseltern denken. Meine Oma und mein Opa mütterlicherseits (1932 und 1936 geboren) waren klassische “Kriegskinder”. Selbst in den Zeiten des Wirtschaftswunders, mein Opa war erst Bergmann im Ruhrgebiet, später dann Lagerist und musste ein Haus abbezahlen, verdiente man als Durchschnittsbürger nicht so viel dass es gereicht hätte (für 2 Erwachsene und 3 Kinder) jeden Tag Fleisch auf den Tisch zu bringen. Das war eine Zeit in der jeder noch wusste warum der Sonntagsbraten Sonntagsbraten hiess. Fleisch war damals zwar kein Luxusgut, aber es war eben auch nichts (All)tägliches. 

Klar, wenn man sich die Kochbücher der Wirtschaftswunderzeit mit all den Pasteten, Braten, und sonstigen “Fleisch Exzessen” so ansieht kann man einen anderen Eindruck bekommen, aber in der normalen Durchschnittsfamilie gab es mitnichten jeden Tag Fleisch zu essen, eher ein bis zwei mal die Woche. 

Der Sonntagsbraten war da eben noch etwas besonderes. 

Wenn Ich nun hingegen an die heutige Zeit denke: Ich hab mir auch schon mal mitten unter der Woche einen Schweinebraten in den Ofen geschoben um Ihn dann alleine zu essen, denn wenn Ich da auch noch Beilagen dazu mache, wie soll Ich denn dann das halbe oder dreiviertel Kilo Fleisch schaffen? 

Es wird dann immer wieder gesagt dass wir die Produkte wieder mehr wertschätzen müssten. Aber was steckt denn in dem Begriff wertschätzen drin? Das Wort “Wert”. Und einen Wert kann für mich ein Stück Fleisch nur über einen Preis bekommen unter dem es einfach nicht zu bekommen ist. Klar kann Ich nach Dubai fliegen und mir für 1.200 € ein vergoldetes Steak kaufen aber das macht man meiner Meinung nach nicht weil einem das so viel wert ist sondern weil man es kann. Dass Produkte einen Wert haben hängt für mich stark damit zusammen ob es ein mehr oder weniger gutes Substitut für wesentlich weniger Geld gibt oder nicht. Sicher, Ich war auch schon bei Maredo und hab da ein 30 € Steak gegessen, das auch sehr lecker war. Doch das bedeutet ja nicht, dass Ich dafür meinen 2,99 € Schwenkern nun eine höhere Bedeutung zumesse. 

Fleisch ist für mich nunmal ein geschmacklich höherwertigeres Lebensmittel als sagen wir Gemüse oder Nudeln. Und warum soll Ich für nur unwesentlich weniger Geld ein wesentlich weniger schmackhaftes Essen zu mir nehmen? Das ergibt keinen Sinn.

Daher würde Ich mir wünschen dass dieses unsägliche Sparfuchs-Shaming endet und die Politik es endlich schafft den Produkten den Preis zu verschaffen den Sie auch wert sind.

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