Abschied

“Der Papa ist gegangen…”

So oder so ähnlich hat es meine Cousine gestern Nachmittag gegen 17 Uhr formuliert. 

Ich hab gar nicht erst kapiert was Sie gesagt hat, hab nachgefragt, danach weitere verklausulierte Antworten bekommen. 

Ich hab wieder nachgefragt: “Ist er gestorben oder was?”

Sie bekam es nicht über die Lippen aber mir war auf einmal sofort klar was Sache ist…..

Alles in allem hab Ich es dann recht gefasst aufgenommen. Vielleicht lag das daran dass Ich meinen Onkel am 2. Weihnachtsfeiertag noch einmal gesehen habe und dort mitbekommen habe wie schlecht es Ihm ging. Er bekam seit einiger Zeit drei mal am Tag Morphium gegen die Schmerzen. Als wir mit Ihm im Rollstuhl noch einen kleinen Spaziergang machen wollten brauchte er über eine halbe Stunde um Hose und Schuhe anzuziehen, so kraftlos war er da bereits.

Ich habe mich sehr darüber gefreut Ihn noch einmal zu sehen und mit Ihm zu sprechen und auch er war froh dass er uns noch einmal sehen konnte. Ich glaube er wusste dass es zu Ende ging. 

Eigentlich hätte Ich Ihn lieber so in Erinnerung behalten wie Ich Ihn im September das letzte mal gesehen habe. Zwar auch nicht mehr fit, aber zumindest mit dem Gehwagen noch ein wenig eigenständig mobil. 

Ich glaube am Ende wog er noch um die 50 KG. Das war nur schmerzlich mit anzusehen. 

Ja, nun ist er also gegangen. 

Teilweise wundere Ich mich selbst wie gelassen Ich das aufgenommen habe. Irgendwo ist man traurig über den endgültigen Abschied, irgendwo aber auch froh dass jemand der so schwer krank gewesen sein muss seinen Frieden finden konnte. 

Mein Onkel war nie jemand der gejammert hat. Immer wieder erzählen meine Mutter oder Ihre Schwester von damals, als mein Onkel sich als Kind den Arm gebrochen hatte als er vom Baum fiel, oder als er sich den Fuß beim spielen an einer Konservendose aufgeschnitten hatte oder als er mal von einem anderen Jungen mit einem Stein beworfen wurde und ein Loch im Kopf hatte. Nie habe er gejammert. Immer alles tapfer ertragen.

Heute frage Ich mich oft ob das nicht ein typisches Symptom der Nachkriegsgeneration ist deren Eltern mit dem Spruch “Ein deutscher Junge weint nicht” aufgewachsen ist. 

Ja, was war mein Onkel für ein Mensch? Das ist nicht einfach zu beantworten. 

Mein Onkel, als mittleres von drei Kindern 1962 geboren, hatte wie seine beiden Geschwister anscheinend eine sehr zweischneidige Kindheit. Einerseits haben meine Großeltern wohl versucht Ihren Kindern viel zu bieten, andererseits habe Ich in den letzten Jahren immer mehr unschöne Dinge aus der Vergangenheit erfahren. Dass mein Opa früher ein prügelnder Choleriker war, dass es bei dem geringen Verdienst den er hatte immer nur um das Geld ging mit dem das Haus abbezahlt werden musste und das Schuld an den ganzen Entbehrungen war. Dass man andererseits aber mit Ausflügen versucht hat den Kindern trotzdem eine schöne Zeit zu bereiten, Sie sich dennoch gewünscht hätten, dass anstatt das die Eltern ein eigenes Haus haben man lieber mal in Urlaub gefahren wäre. Es gab Gründe dafür, warum meine Mutter z. B. mit 16 Jahren zu Ihrer Oma gezogen ist. 

Mein Onkel hat irgendwann einmal Bäcker gelernt, Ich weiss gar nicht ob er die Lehre beendet hat, als Bäcker hat er aber soweit Ich weiss nie gearbeitet. Das muss so Mitte / Ende der Siebziger gewesen sein. Ich weiss jedenfalls dass er dann ab Anfang der Achtziger “zu den Amis gegangen ist” wie man bei uns in Kaiserslautern eben so sagt. 

Wir haben ja mit der Air Base in Ramstein direkt vor der Haustüre den grössten US-Militärstützpunkt ausserhalb der USA. Dazu gehören unzählige Liegenschaften in Ramstein selbst aber auch in Kaiserslautern (die Daenner-Kaserne, die Kleber-Kaserne, die Panzer-Kaserne, die Rhine Ordnance Barracks, die Kapaun Air Station und die Pulaski-Barracks), in Sembach (Annex) in Bruchmühlbach-Miesau (das Miesau Army Depot), in Pirmasens (das US Army Medical Materiel Center) sowie das Warrior Preparation Center auf dem Einsiedlerhof. Ausserdem gibt es noch das Landstuhl Regional Medical Center, das grösste Lazarett der US-Army ausserhalb der USA und die Housing Area auf der Vogelweh. Über 7.000 Deutsche arbeiten dort.

Mein Onkel arbeitete dort als Wachmann. Er bewachte im Schichtdienst die Einfahrt einer Kaserne. Nachdem dort, das muss Anfang der 2000er Jahre gewesen sein, Stellen abgebaut wurden bekam er “von den Amis” eine Umschulung zum Busfahrer bezahlt. Diesen Job machte er bei verschiedenen Busunternehmen, unter anderem zeitweilig auch wieder auf den Flughafen Ramstein, bis zu seiner Krankheit. 

Ich kann mich noch erinnern wie mein Vater Ihm damals bei der Bewerbung half und auch als er mit seinem ersten Arbeitgeber im Streit auseinander ging. 

In der neuen Firma war es dann viel besser. Man merkte, dass Ihm sein Job sehr viel Spass gemacht hat. Auch Ich bin das eine oder andere mal bei Ihm mitgefahren und konnte erleben wie Ihm der Umgang mit den Kunden Freude bereitete. 

Wenn man meinen Onkel beruflich sah, wirkte er immer wie ein sehr korrekter Mensch. Frisch geduscht, sauber angezogen, dezentes Duftwasser. Auch seine Wohnung war eigentlich immer top in Ordnung und sauber gepflegt. 

Hat man jedoch die eine oder andere Schublade geöffnet quollen einem Tonnen an unsortierten Papieren entgegen. Als er vor ein paar Monaten sein Auto verkauft hat und uns bat den KFZ-Brief zu suchen fanden wir in Schubladen, Regalen, Säcken, Pappkisten usw. hunderte teils ungeöffnete Briefe, unsortierte Papiere usw. Es war kaum möglich da den Durchblick zu behalten. Gnade dem, der das bald einmal auseinandernehmen muss. Ich kann mich noch erinnern, dass das bei meinem Vater damals genauso war. Überall Ordner, Stoffbeutel, Pappkartons usw. mit Papieren und Rechnungen, Akten usw. 

Der Unterschied aber war, dass mein Vater die Rechnungen erst bezahlte um sie dann in die Kiste “irgendwann mal wegsortieren” zu packen und er einigermassen einen Überblick hatte. Mein Onkel aber packte die Rechnungen, Strafzettel (Mahnungen zu den Strafzetteln, zweite Mahnungen zu den Strafzetteln, Vollstreckungsbescheide zu den Strafzetteln) usw. in die Schublade ohne sie vorher zu bezahlen. 

Auch bin Ich gespannt wie viele Schulden er seinen beiden Kindern hinterlässt. Nach eigener Aussage hat er eine “Versicherung” abgeschlossen die das im Todesfall alles tilgen soll, keine Ahnung ob es sowas gibt.

Das Geld das meine Mutter, meine Tante und Ich Ihm damals geliehen haben (Ich mag hier teilweise gar nicht schreiben für was!) können wir wohl auch abschreiben. Ich hab damit sowieso schon vor Jahren abgeschlossen und schon lange die Hoffnung aufgegeben das einmal wieder zu bekommen. Was mich angeht ist das alles schon längst vergeben und vergessen. 

Es ist ja so, dass es immer Gründe gibt, dafür warum jemand so ist wie er ist und warum er sich so verhält. Bei meinem Onkel kann Ich zumindest erahnen, warum er so einen, nennen wir es mal seltsamen Umgang mit Geld hatte. 

2011 muss das gewesen sein, da ist mein Onkel zu uns ins Haus gezogen. Wir hatten im Erdgeschoss lange Jahre eine Fläche an ein Ladenlokal vermietet die dann einige Zeit leer stand. Meine Cousine hatte dann einige Zeit da gewohnt bevor mein Onkel dann dort einzog. Er war, nachdem er sich (Ich glaube Ende der 80er oder Anfang der 90er) von der Mutter seiner Kinder getrennt hatte zurück ins das Haus seiner Eltern gezogen. Dort lebte er ca. 20 Jahre in einem, wenn Ich schätzen müsste, 3 x 2,5 m, also ca. 8 m² grossen Zimmer mit Klappcouch, Sideboard, Kleiderschrank und Fernseher. Ihm war es immer wichtiger dass es einen beiden Kindern an nichts mangelt als dass er selbst sich einen Luxus gönnte. Nachdem meine Oma im Sommer 2011 verstarb zerstritt er sich mit seinem Vater und zog bei uns ein. 

Gerne erinnere Ich mich an die Zeit zurück, als Ich noch zu Hause bei meiner Mutter wohnte. Wir luden uns gegenseitig zum Essen ein, schauten sehr, sehr oft zusammen Filme oder sassen einfach nur zusammen und quatschten. Vorallem verdanke Ich Ihm meine Leidenschaft für den europäischen Film und hier insbesondere das französische, italienische und spanische Kino (Luis Bunuel, Pier Paolo Pasolini, Pedro Almodovar, Jean Gabin, Lino Ventura, Jean-Paul Belmondo, Romy Schneider, usw.). Das waren schöne Jahre. Auch Ihm gefiel es endlich eine “richtige” Wohnung zu haben. Gut, es war nur ein Zimmer aber ein grosses mit Miniküche und einem winzigen Bad mit Dusche, WC und Waschbecken durch das man durch die Küche gelangte, aber Ihm reichte das. Es war auf jeden fall mehr als vorher. Wenngleich das mit den Mietzahlungen nicht so wirklich klappte (ja, den Einwand “von Verwandten verlangt man keine Miete” mag Ich gelten lassen, aber wenn man etwas vereinbart, dann hält man sich auch dran). Von dem “Kredit” von dem Ich oben gesprochen hatte hab Ich hier ja an anderer Stelle schon geschrieben und dass der auf einer nicht gezahlten Stromrechnung basierte. 

Auch für meine Mutter war es schön, nach meinem Umzug nach Dresden, nicht alleine in dem grossen Haus zu sein. Man half sich gegenseitig ein wenig bei Sachen die einer alleine nicht hinbekam. 

Überhaupt war mein Onkel immer sehr hilfsbereit. Ob beim entrümpeln des Kellers oder als Opa eine neuen Vordertreppe brauchte usw. 

Nachdem wir meinen Onkel am 2 Weihnachtsfeiertag noch einmal besucht haben habe Ich auch zu meinem Cousin gesagt er solle sich an die schönen Zeiten erinnern die wir als Kinder mit seinem Vater hatten. Die Ausflüge auf Burgen und sonstwohin die wir gemacht haben, oder die Spiele die wir zusammen gespielt haben usw. Da kommen bei mir so viele schöne Erinnerungen hoch. 

Das ist es doch an was man sich am Ende zurückerinnern sollte. 

Trotz aller Rationalität die mir ureigen innewohnt fällt es mir schwer zu begreifen dass ein Mensch den du seit 33 Jahren kennst auf einmal nicht mehr da sein soll. Wie kann das sein? 

Als Ich heute morgen aufwachte war da diese eine Sekunde in der Ich zweifelte ob das nicht alles nur ein böser Traum war. 

Nein, war es nicht. Leider…..

2 Comments

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2 Responses to Abschied

  1. Du beschreibst das sehr schön: Auch wenn man sich rational darüber im klaren war, dass es zu Ende geht – wenn es dann soweit ist, schockt es einen zumindest ein klein wenig. Auch wenn man sich im Klaren darüber ist, dass es für den Betroffenen jetzt besser war als sich noch länger weiter zu quälen. Mein Beileid.

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